Schon seit sie geschlüpft war, träumte sie davon, die Vögel auf ihrer jährlichen Reise in warme Gefilde zu begleiten. "Das ist viel zu gefährlich für dich Leyla!" hatte ihre Mutter immer gesagt.
Auch ihr Vater war wenig begeistert. "Du bist noch zu klein für so eine Reise." "Aber die Küken schaffen es doch auch." begehrte sie jedesmal auf. "Allerdings sind ihre Körper dazu ausgelegt, im
Gegensatz zu dir. Und nun Schluss mit der Diskusion".
So vergingen die Jahrzehnte & die Debatte wiederholte sich jedes Jahr. Ihre Eltern jedoch ließen sich nicht erweichen. Als sie etwa 90 Jahre alt war fasste sie den Entschluss auch ohne die
Erlaubnis von Mutter & Vater auf die Reise zu gehen. Heimlich sammelte sie ein paar Vorräte & schmiedete Pläne mit einer befreundeten Kranichschar. Die Alten waren zwar überhaupt nicht
begeistert, doch hatten sie Respekt vor der jungen Drachendame, die in ihren Augen allerdings schon uralt war.
Eines Tages war es dann soweit. Ihre Eltern brachen auf, um ein befreundetes Dinosaurierpärchen zu besuchen. Da Leyla sich mit deren Kindern nicht sonderlich gut verstand durfte sie zu Hause
bleiben. Jetzt hieß es, Ruhe zu bewahren und sich möglichst nicht auffällig verhalten. Als die Erwachsenen hinter den Baumkronen verschwunden waren wartete sie noch eine Weile. Es geschah häufig,
dass ihre Mutter etwas vergaß und sie auf halbem Wege umkehrten. Und wenn sie dann Leyla beim Aufbruch überraschen würden wäre alles umsonst gewesen. Ganz zu schweigen von dem Ärger den sie
bekommen würde.
Als sie sich sicher war, dass ihre Eltern nicht vorzeitig zurück kommen würden lief sie in die Wohnhöhle platzierte gut sichtbar eine Nachricht und nahm ihren Talisman. Er hatte sie immer
bestärkt an ihre Träume zu glauben. Kurz vor seinem Tod im letzten Frühjahr schenkte er ihr einen seiner Zähne. Sie hatte ihn immer für seine Fänge bewundert. Ein großes Gebiss zeugte von großer
Macht und hohem Alter. Nach seinem Ableben hatte sie lange damit zugebracht ein
Loch in den Zahn zu bohren um ihn als Kette um den Hals zu tragen. Was würde er wohl sagen, wenn er wüsste, dass sie ihre Träume in die Tat umsetzte? Würde er sie immer noch unterstützen?
Auf dem Weg zu den Enten ging sie an dem Versteck vorbei, in dem ihre Vorräte lagerten. Mit klopfendem Herzen, dem Talisman um den Hals und ihr Bündel geschultert trat sie an den Sumpf, an dem
die Kraniche lebten. Als er sie erblickte kam Marco, der Anführer der Kraniche, auf Leyla zu und fuhr sie an "Das wird aber auch Zeit. Wenn du uns noch länger hättest warten lassen, wären wir
ohne dich geflogen. Bald beginnen die Herbststürme auf unserer Route und ich würde gerne vor ihnen mein Ziel erreichen." "Es tut mir Leid Marco, aber ich musste warten bis meine Eltern weg sind."
"Das ist nicht mein Problem. So gern ich dir auch helfen möchte trage ich aber auch für alle hier die Verantwortung und ich werde nicht ihre Leben aufs Spiel setzen, nur weil..." "Lass gut sein
Marco" sagte Eylin, Marcos Weibchen. "Wir sind noch gut im Zeitplan. Alle sind bereit und wir können sofort aufbrechen." Ohne ein weiteres Wort wandte sich Marco ab und ließ Leyla mit betretener
Miene zurück. Eylin sah im kopfschüttelnd nach und als er schon Kommandos für den Aufbruch rief lächelte sie Leyla an. "Nimm es ihm nicht übel. Er sorgt sich nur um uns, das ist alles. Hast du
deinen Eltern wenigstens eine Nachricht hinterlassen?" "Ist schon gut." sagte sie und die Abenteuerlust stieg in ihr auf. "Wenn sie zurück kommen werden sie alles erfahren, dafür habe ich
gesorgt" Mit diesen Worten gingen nahmen die beiden ihre Plätze in der Gruppe ein. Sie würden in einer V-Formation fliegen, mit Marco an der Spitze. Da es für Leyla keinen passenden Platz gab,
sollte sie hinter der Gruppe herfliegen, was von unten betrachtet wie ein Pfeil aussehen würde. Sobald jeder seine Position eingenommen hatte ging es auch sofort los. Ein kurzer Anlauf,
vielfältiges kräftiges Flügelschlagen und nur Augenblicke später waren alle in der Luft. Leyla war fasziniert von der Disziplin und der Gleichmäßigkeit der Vogelschar. Sie versuchte sich dem
Flugstil anzupassen um ein Teil dieser Einheit zu werden. Aber ihre Flügel waren zu lang und ihr Körper zu schwer, sodass sie nach nur wenigen Versuchen wieder ihren eigenen Flugstil einnahm. Sie
genoss den
Flug und die Tatsache, dass sie noch nie so lange geflogen war und auch noch nie ohne ihre Eltern so weit von zu Hause entfernt war. Doch es dauerte nicht lange und die Aufregung verflog und
machte der Eintönigkeit Platz. Als die Sonne begann hinter dem Horizont zu verschwinden schien ihr schon eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit sie losgeflogen waren. Leyla hoffte, dass sie nun
bald ein Lager für die Nacht suchen und landen würden. Marco flog aber weiter und dachte scheinbar nicht im Traum daran, eine Pause zu machen. Wahrscheinlich will er die verlorene Zeit aufholen,
dachte sie. Ich werde nicht quängeln, was diese kleinen Vögel können, das schaff ich auch. Wir werden bestimmt irgendwann landen, ermunterte sich die kleine Drachendame. So flogen sie die ganze
Nacht hindurch und auch am Morgen war an eine Rast nicht zu denken. Sie war mittlerweile sehr erschöpft und achtete nicht mehr auf ihre Umgebung. Gegen Abend fiel sie immer weiter zurück und ohne
es zu bemerken sank sie tiefer. Sie wollte schlafen. Plötzlich streifte etwas ihr Bein und Leyla bemerkte, dass sie kurz über den Baumkronen dahin glitt. Sie versuchte wieder an Höhe zu gewinnen,
doch sie war zu schwach. Mit letzter Kraft schaffte sie es noch auf einer nahen Lichtung zu landen. Sie setzte unsanft auf, viel nach vorne und schlief noch im Fallen ein.
Strahlender Sonnenschein weckte sie. Leyla war noch ganz benommen und brauchte eine Weile um zu begreifen, dass sie nicht zu Hause war. Langsam fielen ihr die Ereignisse der letzten Tage wieder
ein. Dem Drachenmädchen lief es kalt den Rücken herunter, als ihr klar wurde, dass sie die Kraniche verloren hatte. Ohne sie würde sie sich hoffnungslos verfliegen. Sie brauchte auch nicht
drarauf hoffen, dass Marco jemanden zurück schicken würde um nach ihr zu suchen. Verzweifelt überlegte Leyla, wie sie aus diesem Schlamassel wieder herauskommen konnte. Da fiel ihr ein, dass sie
ja nach Süden wollte und dass sie sich nach der Sonne richten konnte. Mit neuem Mut schaute sie zum Himmel. Aber da war keine Sonne mehr, nur Wolken. Schwarze Wolken! Ein Sturm, dachte sie
erschrocken. Sie musste hier weg. Hecktisch sammelte sie ihr Gepäck auf und flog los. Jetzt kam plötzlich schwacher Wind auf, da bemerkte sie, dass ihr
Talisman weg war. Sie musste ihn bei der Bruchlandung verloren haben. Leyla drehte sich und raste im Sturzflug der Lichtung entgegen. Hecktisch suchte sie die Wiese ab. Da endlich, nach Stunden
wie es ihr schien, fand sie den Zahn. Der Wind gewann immer mehr an Kraft, sie musste sich beeilen. Wieder stieg sie in den Himmel auf und schon begann es zu regnen. Sie wusste nicht wohin sie
flog, wollte nur weg von hier. Der Sturm wurde immer heftiger und ihr
fehlte die Kraft sich dagegen zustemmen, also ergab sie sich den Launen der Natur und ließ sich treiben. Der kleine Drache wurde herumgeworfen, mal in die eine und mal in die andere Richtung
geweht. Ihr wurde übel. Endlich nach stundenlangem Kampf mit den Elementen fand sie den Rand des Unwetters. Voller Erleichterung beschleunigte sie ihren Flügelschlag. Mittlerweile war es Nacht
und über ihr funkelten die Sterne. Sie wollte sich am Boden ausruhen
und ging in den Sinkflug. Da bemerkte Leyla dass sich unter ihr Wasser befand. Der Sturm musste sie bis hinaus aufs Meer getragen haben, denn so weit sie sehen konnte gab es kein Land. Da sie
nicht wusste wo genau sie war, war es auch egal welche Richtung das Drachenmädchen einschlagen würde. Und so flog sie weiter, in der Hoffnung auf Land zustoßen sobald es hell würde. So lange
brauchte sie aber garnicht zu warten, denn schon hörte Leyla das Platschen von Wellen auf Sand und nur kurze Zeit später konnte sie landen. Diesmal würde sie nicht sofort einschlafen, sondern
sich einen gemütlichen und geschützten Platz suchen. Es dämmerte bereits als sie eine kleine Höhle fand. Sie war nicht sehr tief, aber hier wäre sie zumindest ein wenig geschützter.
Sie schreckte aus ihrem Schlaf hoch, als sich ein Schatten vor die Sonne schob. Leyla war sofort hellwach und wich an die Höhlenwand zurück, als der Schatten näher kam. Als er gänzlich die Sonne
verdeckte konnte sie sehen werd da auf sie zukam. Es war ein kleiner Eisfux. Erleichtert setzte sie sich auf den Boden und schnaufte, wobei ihr kleine Rauchkringel aus der Nase steigen. Ihr Herz
raste und sie versuchte sich zu beruhigen. Der kleine Fux blieb stehen und sah sie interessiert an. "Wer bist du?" fragte Leyla. "Ich bin Yukimi, aber meine Freunde nennen mich Yuki und du?"
"Schön dich kennen zu lernen Yukimi. Mein Name ist Leyliana Dracobar aber sag ruhig Leyla zu mir" antwortete sie. "Hallo Leyla" grinste Yuki. "Sagmal, wo kommst du
eigentlich her?" fragte das kleine Eisfuxmädchen. Da wurde Leyla traurig. "Ich komme aus dem Drachenwald.""Und was tust du hier?" Wollte Yuki wissen. "Ich habe mich verirrt. Ich kam in einen
Sturm und habe die Orientierung verloren." Leyla begann zu weinen. Yuki kam auf sie zu und legte ihre kleine Hand auf ihr Bein. Da bemerkte die Drachendame erst, wie klein Yukimi doch war. "Nicht
weinen" sagte Yuki. "Ich weiß zwar nicht wo der Drachenwald ist, aber mein Paps ist schon viel rumgekommen. Der weiß bestimmt mehr. Komm mit." Und schon trat die kleine Füxin vor die Höhle und
Leyla folgte ihr. Was konnte es schon schaden? Vielleicht kannte Yukis Vater einen Weg zurück. Auf dem Weg zu Yukis Heim wurde Leyla von Fragen bestürmt. Wie alt sie sei. Ob es noch mehr Drachen
gab. Freunde, Hobbys und so weiter. Leyla antwortete geduldig und löcherte auch ihrerseits die kleine Füxin.
Endlich angekommen sahen sie Yukis Vater in der Tür stehen. "Yuki, wen bringst du uns da mit? Eine neue Freundin?" "Hallo Papa, das ist Leyla. Sie hat sich verirrt." "Hallo" kam es leise
von
Leyla. "Ich bin Tashi." Er reichte Leyla die Hand, sie griff zögernt zu und sah Tashi ins Gesicht. "Du kommst mir bekannt vor, Mädchen." "Ach wirklich?" Leyla war erstaunt. Schließlich kannte sie
keine weiteren Drachen außerhalb ihrer Familie. "Allerdings" antwortete der alte Eisfux. "Vor vielen Jahren war ich einmal auf einer Reise im Westen. Da sah ich jemanden wie dich, nur größer."
Leyla machte große Augen. Sie war aufgeregt. Andere Drachen? Oder waren es ihre Eltern gewesen, die der Eisfux damals sah. "Wie sah er aus?" platze es aus ihr heraus. "Wie gesagt, er sah aus wie
du, nur viel größer. Und blau." "Blau?" stieß Leyla hervor. "Dann hast du meinen Papa gesehen. Wo war das? Wie komme ich dorthin?" "Immer mit der Ruhe. Ich werde dir beim Abendessen alles
erzählen was ich weiß. Aber jetzt gehen wir erst einmal rein, trinken eine Tasse Tee und du erzählst mir, wie du hierher gekommen bist." Leyla nickte und trat ein.
Wie Yukis Vater es wollte erzählte sie ihre Geschichte. Tashi und Yuki hörten gespannt zu und unterbrachen sie nicht. Als sie geendet hatte sagte Tashi "Na da hast du ja ganz schön was erlebt.
Und Glück hast du gehabt. Der Sturm hat dich nämlich ein ganzes Stück wieder zurück
getrieben. Ihr könntet in wenigen Tagen bei dir zu Hause sein, wenn ihr lauft." Leyla war überglücklich "Du kannst mir den Weg zeigen? Das ist wunderbar. Wenn ich mich beeile schaffe ich es
vielleicht sogar noch vor meinen Eltern zu Hause zu sein." Sie stutzte "Wir? Wieso wir?" fragte sie. "Yuki wird dich natürlich begleiten. Sie kennt das Land hier sehr genau und sollte dich sicher
dorthin bringen, wo du dich dann auskennst. Außerdem sehe ich das Reisefieber in den Augen meiner Tochter glühen" Yuki blickte ertappt nach unten. "Das ist doch toll. So können wir uns noch
besser kennen lernen. Ihr seid beide großartig." Das Herz wurde Leyla ganz leicht, als sie daran dachte, bald wieder da Heim zu sein. Tashi versprach sich um Proviant zu kümmern und schickte die
beiden Mädchen früh ins Bett.
Am nächsten morgen wachte Leyla gut erholt auf und war voller Tatendrang. Auch Yuki war aufgeregt, aber auch ein wenig ängstlich, weil sie noch nie ohne ihren Vater so weit gereist war.
Nach einem kräfitgen Frühstück brachen die beiden neuen Freundinnen zu ihrer Reise auf. Während ihrer langen Wanderung lernten sie sich noch besser kennen und vertieften ihre Freundschaft. Sie
sprachen über ihre Kindheit, ihre Träume und auch über ihre Ängste. Abend suchten sie sich eine Höhle oder einen großen Baum unter dem sie lagern konnten.
Am Nachmittag des dritten Tages blieb Leyla plötzlich stehen. Yuki war so sehr in ihre Geschichte vertieft, die sie gerade erzählte, dass sie erst noch einige Meter weiter lief bis sie es
bemerkte. "Was ist los? Bist du schon müde? Man du hast ja garkeine Ausdauer." stichelte sie. "Nein das ist es nicht. Wir sind da. Also fast. Die Gegend kenne ich. Ab hier fliegen wir." Leyla
grinste, packte Yuki unter den Arme und hob ab. Anfangs hatte Yuki noch Angst, doch dann überwältigte sie ein Gefühl, das sie vorher noch nie gespürt hatte. Sie fühlte sich frei. Sie jubelte,
genoss den Wind in ihrem Fell und den weiten Ausblick. Von hier oben war alles so klein. Sie sah Elefanten, klein wie Ameisen. So flogen sie eine ganze Weile, bis Leyla sagte "Wir sind fast da.
Siehst du die Lichtung dort vorne. Dort werden wir landen."
Als Leyla auf dem Boden aufsetze und Yuki loslies fiel die kleine Eisfuxdame promt auf den Hintern. Die beiden schauten sich an und fingen an zu lachen. Da sah Leyla zwei Schatten zwischen den
Bäumen und sie verstummte. Ihre Eltern traten auf die Lichtung und sahen ziemlich wütend aus. "Hallo Mama, hallo Papa" sagte sie kleinlaut. Da polterte auch schon ihr Vater los "Wo hast du
gesteckt? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Ich wollte gerade
aufbrechen um dich einzuholen. Was hast du dir dabei gedacht?" Leyla schwieg und schaute nur auf ihre Füße. Ihr Vater baute sich vor ihr auf und hob seine riesige Pranke. Sie zuckte zusammen und
erwartete jeden Moment eine Ohrfeige. Da nam er sie sanft in den Arm und drückte sie fest an sich. "Mein Mädchen. Tu das nie wieder. Wir hatten wirklich Angst um dich" Plötzlich überkamen sie
ihre Gefühle und Leyla fing an zu weinen. Sie weinte lange. Als ihre
Tränen versiegt waren fragte ihre Mutter "Wer ist das? Willst du uns nicht vorstellen?" sie deutete auf Yukimi. "Das ist Yukimi. Sie und ihr Vater haben mir geholfen zurück zu finden." "Das ist
sehr lieb von ihr." sagte ihre Mutter. "Wir laden dich recht herzlich ein. Sei unser Gast und wir bringen dich morgen zurück" "Das ist sehr lieb von ihnen, danke" "Ach Mami, Papi, darf Yuki nicht
noch ein bisschen hier bleiben? Ich möchte ihr gerne unseren Wald zeigen" "Was
würde dein Papa dazu sagen, Yukimi?" "Mein Paps war auch viel auf Wanderschaft. Ich glaube er rechnet sogar damit, dass ich nicht sofort zurück reise." "Na wenn das so ist, sei unser Gast so
lange du willst." sagte Leylas Vater. Leyla und Yuki fielen sich vor Freude in die Arme und tanzten über die Lichtung. Und als sie nach einer ungewöhnlich langen Nacht wieder die Sonne sahen,
fingen die Abenteuer erst an.
- ENDE -